Videospiele sind für mich eine Form der Kunst. Kunst, mit der ein Entwickler etwas ausdrücken möchte und der Spieler es erlebt und verarbeitet. Und Videospiele sind nicht einfach nur Rumgeballer und das Einsammeln von Gegenständen oder Ausweichen von Hindernissen. Manchmal gibt es nur eine Geschichte, die du visuell erlebst. Durch das Zuhören, Innehalten und Betrachten.

So wie in That Dragon, Cancer.

This is where we go to remember our son Joel,
up through here along this path.

We want to show you who he was, and how his life changed us.
Can we walk here together for a while?

Der Leidensweg Joel Greens

In That Dragon, Cancer begleitest du Joel Green, der im Alter von 5 Jahren nach einem 4-jährigen Kampf dem Krebs erliegt. Mit der Entwicklung dieses Spiels verarbeitet sein Vater und Entwickler Ryan Green diesen schweren Weg aus Hoffnung, Verzweiflung und Liebe. Mit der Point-and-Click-Interaktion und einer Mischung aus First Person- und Third-Person-Perspektive macht er dieses zermürbende Schicksal greifbar.

Und selbstverständlich ist That Dragon, Cancer nicht zum Durchrennen gedacht. Anfangs gab es Momente, in denen ich nicht so recht wusste, wohin ich gehen sollte. Doch bald ließ ich mich darauf ein und habe die nächsten Ereignisse einfach geschehen lassen. Ich wurde viel ruhiger. Und die zwei Stunden Spielzeit (ohne Unterbechung) kamen mir doppelt so lang vor. Mit passenden Metaphern und Poetik rührte mich dieses Erlebnis zu Tränen, wie es kein anderes Videospiel je tat.

That Dragon Cancer

Gameplay

Dies hier ist nicht der klassische Schreibstil einer Spiele-Wertung. Ehrlich gesagt möchte ich mich zu Joels Geschichte auch gar nicht derartig darüber auslassen. Dennoch liefere ich ein paar sanfte, subjektive Fakten zum Spiel-Erlebnis:

Für 9,99 Euro ist That Dragon, Cancer bei Steam erhältlich. Die Optik und Farbgebung in dem Spiel sind sehr gut abgestimmt, trotz „gesichtsloser“ Polygon-Charaktere macht es das Erlebnis nicht unpersönlicher. Durch die treffenden Texte und das Storytelling durch Mutter Amy Green, hat dieser Polygon-Look überhaupt keinen Unterschied gemacht. Manchmal war der Text jedoch etwas zu schnell für mich (das Spiel ist komplett auf Englisch). Besonders positiv behalte ich den Wechsel der Perspektiven sowie Soundtrack und die Sprach-Samples in Erinnerung. Sie klingen wie Erinnerungen, weit entfernt, manchmal leicht blechern, als wären sie mit einem Smartphone aufgenommen worden. Irgendwie so echt.

That Dragon Cancer

That Dragon Cancer

Nicht fair. Nicht fair. Nicht fair.

Hoffnungslosigkeit

Den Tod eines Kindes kann niemand wirklich nachvollziehen, der nicht selbst Kinder hat. Ich werde niemals verstehen, was eine Familie dabei durchmacht und möchte es mir auch nicht anmaßen. Mich hat That Dragon, Cancer jedoch so sehr berührt, wie taub, verloren und stumm so ein Weg sein kann. Es war irgendwie wie ein Trip. Ein Trip aus Verzweiflung, Unverständnis, Ungerechtigkeit und Hoffnungslosigkeit. Und richtig miesen Träumen.

Aber warum ein Spiel spielen, das so sehrbelastet? Und mich mit einem beschissenen Gefühl zurücklässt? Diese Fragen habe ich mir oft gestellt. Tagelang lag das Spiel in meinem Warenkorb. Vielleicht, weil es mir helfen kann, damit umzugehen, da dieser Drache derzeit in meinem engen, familiären Umfeld wütet. Und die Erkenntnis, dass es jeden treffen kann. Völlig irrational. Egal, wie gesund du lebst. Egal, wie lange du lebst.

That Dragon Cancer zeigt, dass Videospiele so viel Macht haben können.

Für all die Drachenjäger da draußen.

That Dragon Cancer

Screenshots: That Dragon, Cancer. Numinous Games, 2016